Nachruf auf Dr. Michael R. Rosa (1953 – 2022)

verfasst von Jeremy Walsh, Dietrich Baade, Paul Bristow und Florian Kerber, European Southern Observatory, Garching

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Dr. Michael Rosa erwarb seinen akademischen Grad 1981 an der Universität Heidelberg. Seine Dissertation schrieb er unter Anleitung von Prof. Immo Appenzeller an der Landessternwarte Königstuhl über die Analyse von Beobachtungen des Riesen-HII-Gebiets NGC 604 in der Spiralgalaxie M33. Er wechselte noch im selben Jahr als Fellow zum European Southern Observatory (ESO) in Garching und begann 1984 als einer der ersten Mitarbeiter der Europäischen Koordinierungsstelle für das Weltraumteleskop (Space Telescope - European Coordinating Facility; ST-ECF), die bei ESO angesiedelt war. Die ST-ECF gründete sich auf eine Vereinbarung zwischen der European Space Agency (ESA) und ESO als Teil der 15%igen Beteiligung von ESA am Hubble Weltraumteleskop (HST), die die Faint Object Camera und Mitarbeiter am Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore einschloss. Die ST-ECF bestand schon bei ihrer Gründung aus Astronomen und Software-Spezialisten, deren Aufgabe die Unterstützung der HST-Instrumente und die Entwicklung von Software für Datenreduktion und -analyse sowie das Datenarchiv war. Michael hatte eine ESA-Position inne und verblieb an der ST-ECF bis zu ihrer Schließung im Jahre 2010. Anschließend arbeitete er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2016 am ESA European Space Astronomy Centre (ESAC) nahe Madrid für das HST-Archiv und später für das ESA Sky Projekt zur Visualisierung astronomischer Daten.

Michael verkörperte die symbiotische Natur der ST-ECF als eines unabhängigen Zweigs von ESA und ESO, der beiden Organisationen Beiträge lieferte. Er war sehr interessiert an astronomischer Instrumentierung. Für seine Diplomarbeit baute er ein photoelektrisches Photometer für den optischen und nahen Infrarotbereich, und bei ESO untersuchte er die Nichtlinearität des Image Dissector Scanner (IDS). Zudem leistete er Beiträge zu ESOs Datenverarbeitungssystem MIDAS. Sein erstes Projekt bei der ST-ECF war die Entwicklung von STMODEL, einem Simulator für die HST-Instrumente der ersten Generation. Dabei handelte es sich um weit mehr als nur einen Belichtungszeitrechner, sondern STMODEL konnte aus den Eigenschaften der Instrumentkomponenten und mittels einer spektroskopischen Datenbank die Bilder und Spektren vorhersagen, die von den Beobachtungen zu erwarten waren. Als das HST 1990 gestartet wurde, war Michaels primäre Zuständigkeit für den Faint Object Spectrograph (FOS), einen Spektrographen für den UV- bis roten Spektralbereich mit kleiner Eingangsöffnung, verschiedenen spektralen Auflösungen, hoher Zeitauflösung und auch einem spektropolarimetrischen Modus. Michael erkannte schnell, dass die Spektren an ihrem roten Ende durch parasitäres Licht beeinträchtigt waren, das von den Modellen nicht vorhergesagt war. Im Einklang mit dem uneingeschränkten Vertrauen, das dem HST auch dann noch entgegengebracht wurde, als dessen sphärische Aberration entdeckt wurde, versuchte er, den Ursprung dieses Lichtlecks zu erklären und die Auswirkungen auf Beobachtungen zu reduzieren. Im Rückblick prägte dieses damals sehr ehrgeizige Ziel einen Großteil von Michaels späterer Arbeit im Bereich spektroskopischer Instrumentierung.

Nachdem er das Streulichtproblem des FOS diagnostiziert hatte, schrieb Michael Software zur Korrektur des Effekts auf Beobachtungen. Zu dieser Zeit entwickelte er seine Vision von der Bedeutung der Modellierung von Instrumenten für die Simulation des erwarteten Spektrums einer gegebenen Quelle durch Strahlenoptik und die Physik von dispergierenden Elementen und Detektoren. Sein Ziel wurde es, die Datenreduktion auf die Basis physikalischer Modelle zu stellen und letztlich eine Vorwärtsmodellierung zu erreichen, die als einzige Eingangsgröße nur die Parametrisierung des Instruments enthält, die sich aus maximal genauer Modellbeschreibung ergibt. Dann könnten die spektralen Lichtverteilungen, die von einem Ensemble von Objekten das Instrument erreichen, als ein Satz von Unbekannten betrachtet werden, nach denen die beobachteten Spektren in einem Gleichungssystem gelöst werden. Dieses ambitionierte Ziel hat in der Praxis noch keine Lösung. Aber zunehmende Computerleistungsfähigkeit, fortgeschrittene mechanische, thermische und optische Modelliermöglichkeiten und die Anwendung bayesianischer Folgerungsmethoden bringen diese kühne Vorstellung einer praktischen Umsetzung stetig näher.

Michaels fortgesetzte Arbeit an der Kalibration des FOS resultierte darin, dass die Neu-Reduktion der Daten dem HST-Archiv besser kalibrierte Daten zuführte. Er dehnte sie auch auf die Wellenlängenkalibration des Space Telescope Imaging Spectrograph (STIS) aus, der zu der zweiten Instrumentengeneration des HST gehört. Michael bildete eine Gruppe (ST-ECF Instrument Physical Modeling Group), um den methodischen Ansatz zu verallgemeinern, auch für Instrumente von ESOs Very Large Telescope (VLT). Dieser Ansatz war ursprünglich für bereits existierende Instrumente entwickelt worden. Aber die gewonnene Erfahrung lässt sich auch in den Entwicklungsprozess für neue Instrumente einbringen. Das Endziel ist die Verbesserung der Beobachtungsdaten, aber in einem wichtigen Zwischenschritt geht es auch um die Erkennung etwaiger Probleme bei der Herstellung von Komponenten, dem Zusammenbau von Instrumenten und ihrer optischen Justierung. Dieses Verfahren wurde für die VLT-Instrumente CRIRES (CRyogenic Infra-Red Echelle Spectrograph) und X-shooter verfolgt. Im Falle von CRIRES gelang es durch den Einsatz physikalischer Modellierung, dass die Wellenlängenkalibration auch wechselnden thermischen und Durchbiegungsbedingungen angepasst werden konnte, was konventionelle, rein empirische Methoden nicht leisten können.

Da das Streulicht im roten Bereich des FOS stark von dem Blauanteil des Spektrums der Quelle abhing, wandte Michael sein Interesse auch den Kalibrationsdaten zu, mit denen solche Probleme diagnostiziert werden können, wie z.B. Standardsternspektren. Für STIS hängt die Genauigkeit der Wellenlängenkalibration empfindlich von den Annahmen über das Spektrum der eingebauten Vergleichslichtquelle ab. Das Spektrum der Pt/Cr-Ne-Lampe in STIS war nur unzureichend charakterisiert, und zur Verbesserung dieser Situation trieb Michael spezifische Messungen am US National Institute of Standards (NIST) in Maryland voran, die zu genaueren Wellenlängen führten. Diese Initiative und die Modellierarbeit wurden 2006 von NASA durch eine NASA Group Achievement Award anerkannt, die an die ST-ECF-Gruppe und drei Kollegen bei NIST vergeben wurde. Michaels Gruppe dehnte ihre Arbeit an der Verbesserung von Wellenlängenkalibrationslampen auf Hohlkathodenlampen aus, die im Infraroten eingesetzt werden und für den hoch-auflösenden Infrarotspektrographen CRIRES von Bedeutung sind. Gegen Ende seiner Karriere führten Michaels Erfahrung und sein Auge für Details dazu, dass er mehrfach um die Leitung von Zwischen- und Abschlussprüfungen von ESO-Instrumenten gebeten wurde. Er verlieh diesen Vorgängen einen disziplinierten und äußerst sorgfältigen Ablauf, der zu der Fortentwicklung dieser Prozesse bei ESO beigetragen hat, die für die zunehmende Komplexität der Projekte des 21. Jahrhunderts erforderlich ist.

Michael verfolgte sein Interesse an extragalaktischen HII-Gebieten weiter, untersuchte dazu Daten von IUE, HST und ESO-Teleskopen und publizierte insbesondere über die Magellanschen Wolken. Er hat auch zu Studien einer Reihe von anderen Objekten beigetragen, z.B. Supernova 1987A (Entdeckung der Lichtechos), die Häufigkeit von Supernovae und ihrer Vorgänger, η Carinae, Wolf-Rayet-Nebel, Sakurais Objekt (V4334 Sagittarii) und chemische Häufigkeiten in HII-Gebieten im allgemeinen. Ein Thema, zu dem er bahnbrechende Beiträge geleistet hat, betrifft Photoionisationsmodelle für Gasnebel. Bis vor 25 Jahren behandelten solche Modelle die Aufheizung und Kühlung des Gases nur eindimensional (oder pseudo-dreidimensional). Michael erkannte, dass nur echte 3D-Modelle Fortschritte erbringen konnten, und motivierte eine Studentin (Susanne Och), die Durchführbarkeit dieser Idee zu prüfen. Er konnte auch das Interesse von Leon Lucy erwecken, und die Lösung wurde mittels Energie-Paketen und Monte-Carlo-Simulationen entwickelt. Dieser Ansatz fand in der Photoionisationssoftware MOCASSIN und dem Monte-Carlo-Programm MAPPINGS seinen Niederschlag. Mit diesen Entwicklungen konnte Michael das Aufkommen realistischerer Modelle von Nebeln beobachten, die auch nicht-sphärische Strukturen und inhomogene Dichteverteilungen einschlossen.

In Anbetracht von Michaels Leidenschaft, aus Instrumenten das beste herauszuholen, das sie leisten können, ist seine Bewunderung für die Arbeit von Tycho Brahe nicht verwunderlich. Zusammen mit seinem früheren Lateinlehrer am Gymnasium begann er, Brahes Werk „Astronomiae Instauratae Progymnasmata“ („Einführende Übungen in der erneuerten Astronomie“) zu übersetzen und zur Veröffentlichung vorzubereiten. Auch nach seiner Pensionierung setzte Michael seine Studien zu Brahes Beobachtungs- und Reduktionsmethoden noch fort.

Michael war ein großzügiger Kollege, der stets bereit war, seine Einsichten und Erfahrung in wissenschaftlichen und methodischen Diskussionen mit anderen zu teilen. Er war ein häufiger Besucher am STScI ebenso wie ein leidenschaftlicher Europäer: als Gründungsmitglied der European Astronomical Society erwarb er die lebenslange Mitgliedschaft, sobald sich die Gelegenheit bot. Er war im Umgang stets zurückhaltend und ohne Schnörkel, hatte aber einen feinen Sinn für Humor. Michael hinterlässt seine Frau, die auch in Astronomie promoviert wurde, einen Sohn und eine Tochter.

Dr. Rosa war seit 1982 - und damit 40 Jahre - Mitglied der Astronomischen Gesellschaft.