Prof. Dr. Hans-Heinrich Voigt (1921–2017)

Nachruf von Stefan Dreizler  

Hans-Heinrich Voigt (Foto: Gauss-Gesellschaft)
Foto: Gauß-Gesellschaft

Am 17. November 2017 verstarb Prof. Dr. Hans-Heinrich Voigt, langjähriger Direktor der Göttinger Universitäts-Sternwarte und Ehrenmitglied der Astronomischen Gesellschaft, im Alter von 96 Jahren.

Hans-Heinrich Voigt wurde am 18.04.1921 als zweites Kind von Thea Voigt (geb. Zietz) und Wilhelm Voigt in Eitzendorf an der Weser geboren. Den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Celle, wo der Vater eine Stelle als Pfarrer hatte und Hans-Heinrich Voigt 1939 sein Abitur abgelegt hat. In der theologisch geprägten Familie fiel seine mathematisch-naturwissenschaftliche Begabung schon früh auf. Er fing daher an, in Göttingen Physik und Mathematik zu studieren, was aber schnell durch den Einzug zum Militärdienst unterbrochen wurde. Dort wurde er zunächst in Russland, nach einer Schussverletzung in Griechenland und später als Funker in Selb eingesetzt. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft konnte er 1946 sein Studium wieder aufnehmen.

Als er 1949 in Göttingen bei Prof. ten Bruggencate über Magnesiumlinien im Sonnenspektrum promovierte, waren das noch sehr mühsame Rechnungen von Hand, d.h. mit Papier und Bleistift oder mit Handrechenmaschinen. Solche Untersuchungen waren enorm wichtig, weil man so die Sonne als Labor für die neuen Erkenntnisse aus der Quantenmechanik und Atomphysik verwenden konnte. Über seine Stelle als Forschungsassistent in Kiel bei Albrecht Unsöld, der damaligen Koryphäe im Bereich Strahlungstransport und Sternatmosphären, war er 1951/52 in den USA am Lick- Observatorium in Kalifornien. So kurz nach dem Krieg die Möglichkeit zu haben, an einem der führenden Observatorien zu arbeiten, war sicher prägend für seinen weiteren wissenschaftlichen Werdegang. Sein Aufenthalt fiel in die Zeit, als am Lick-Observatorium der Bau eines 3-m-Teleskops begann, für europäische – und zu der Zeit sicher speziell deutsche – Forschungseinrichtungen ein unvorstellbar großes Teleskop. Ein Teleskop vergleichbarer Größe mit Zugang für deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gab es erst 1976. Nach seiner Rückkehr wurde er Assistent in Göttingen, wo er 1956 habilitierte, und wechselte dann an die Sternwarte Hamburg-Bergedorf. 1963 wurde er nach Göttingen berufen und hatte 23 Jahre lang als siebter Nachfolger von Carl Friedrich Gauß eine Professur für Astrophysik an der Universitäts-Sternwarte Göttingen inne.

Die 60er Jahre waren besonders wichtig für die moderne Astrophysik. Mit der Entdeckung der Quasare ergab sich die Möglichkeit, auch sehr weit entfernte Objekte zu beobachten und damit unser Universum auf kosmologischen Skalen zu untersuchen. Die Entdeckung der Neutronensterne war ein Meilenstein für die Stellare Astrophysik, also Herrn Voigts Forschungsgebiet. Der Einzug von Großrechnern machte plötzlich die mühsamen Rechnungen zum Strahlungstransport aus Herrn Voigts Promotion zu einem „Kinderspiel“, aus dem sich im Laufe der Jahre die „Computational Astrophysics“ entwickelt hat. Hans-Heinrich Voigt hat das große Potential erkannt und war daher an der Gründung des Göttinger Rechenzentrums, der heutigen GWDG, beteiligt und in den letzten 10 Jahren seiner aktiven Karriere auch in dessen Beirat.

Herr Voigt hat, sicher aus der Erfahrung am Lick-Observatorium, auch gesehen, dass Deutschland im Bereich der Beobachtungsmöglichkeiten dringend aufholen muss, um international konkurrenzfähig zu werden. Er hat 1962 die erste „DFG Denkschrift Astronomie“ verfasst, in der die strategischen Ziele für die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte formuliert wurden. Herr Voigt war dafür genau der Richtige. Seine Erfahrung und sein Weitblick haben viel bewegt. Der Bau des 100-m-Radioteleskops in Effelsberg, nach wie vor eines der größten Radioteleskope weltweit, die Beteiligung Deutschlands an der sich formierenden Europäischen Südsternwarte in Chile, eine der heute weltweit führenden Forschungsorganisation der Astrophysik, sowie die Gründung der Europäischen Raumfahrtorganisation, gehen auf diese Denkschrift zurück. Die deutsche und europäische Astronomie hat ihm also sehr viel zu verdanken.

Herr Voigt war in seiner Göttinger Zeit nicht nur Initiator von großen Projekten für die internationale Astronomie. Ein wichtiger Aspekt für die Universitäts-Sternwarte war sein Engagement beim Bau der Göttinger Sonnenobservatorien. Das Sonnenteleskop aus Kriegszeiten auf dem Hainberg war nicht mehr konkurrenzfähig. Daher wurde zunächst in den 60er Jahren ein Observatorium in Locarno aufgebaut. In den 80er Jahren wurde mit seiner maßgeblichen Beteiligung das Sonnenobservatorium in Teneriffa errichtet und kurz vor seiner Emeritierung 1985 eingeweiht. Der dortige Göttinger Universitäts-Anteil ist inzwischen an das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen übergegangen. Aus dieser Zeit stammt die Expertise im Teleskop- und Instrumentenbau, die sich nach der Emeritierung von Herrn Voigt auf Instrumentierung für die Europäische Südsternwarte verlagert hat und einen wichtigen Anteil an dem Renommee des Instituts ausmacht. Zurückblickend war das Engagement von Herr Voigt im Instrumentenbau wiederum enorm wichtig und vorausschauend.

Wie man aus dem vorherigen schon sieht, war Herr Voigt sehr zum Nutzen Vieler engagiert. Es verwundert daher vielleicht auch nicht, dass er von 1968 bis 1971 Prorektor, Rektor und Konrektor der Universität Göttingen war. Mit seinem ruhigen und offenen, aber auch sehr bestimmten Charakter, war er mit seiner ausgleichenden Art genau die Führungspersönlichkeit, die die Universität in den unruhigen Zeiten brauchte. 1972 bis 1975 war er Vorsitzender der Astronomischen Gesellschaft, 1975 bis 1978 deren stellvertretender Vorsitzender. 2007 wurde er für seine besonderen Verdienste um die Belange und Ziele der Astronomie zum Ehrenmitglied der Astronomischen Gesellschaft ernannt. Außerdem war er langjährig Vorsitzender bzw. Geschäftsführer der Gauss-Gesellschaft. Neben seiner Mitgliedschaft und Präsidentschaft (1978/79) in der Göttinger Akademie bleibt noch zu erwähnen, dass er auch Mitglied der Leopoldina und der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft war, von der er 1993 die Carl-Friedrich-Gauß-Medaille erhielt.

Den meisten wird Hans Heinrich Voigt durch sein für Generationen prägendes Buch „Abriss der Astronomie“ bekannt sein. Für Generationen von Studierenden in diesem Bereich war und ist es ein Standardwerk, das auf hervorragende Weise das breite Spektrum der modernen Astrophysik von der Kosmologie bis zum Sonnensystem kompakt aber umfassend abdeckt. Wie Herr Voigt im Vorwort der ersten Auflage schreibt, soll das Buch kein klassisches Lehrbuch sein, sondern ein Nachschlagewerk. Dieses Buch in inzwischen 6 Auflagen spiegelt sehr gut die enorme Entwicklung wider, die die Astrophysik in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, und die Herr Voigt miterlebt und sehr aktiv mitgestaltet hat. Während Herr Voigt die ersten 5 Auflagen des „Abriss der Astronomie“ als alleiniger Autor verfasst hat, was aufgrund der sich exponentiell entwickelnden Erkenntnisse einen hervorragenden Überblick voraussetzt, ist die 6. Auflage, 20 Jahre nach der 5. Auflage, inzwischen von vielen Autoren geschrieben worden. Trotz einer langen Überarbeitungszeit seines Buches, konnte er 2012 das Erscheinen der Neuauflage noch erleben.

Das wissenschaftliche Lebenswerk von Hans-Heinrich Voigt hat die deutsche Astronomie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich geprägt und wird auch zukünftig entsprechend weiterwirken. Wir werden ihn daher mit großer Dankbarkeit in Erinnerung behalten.