Rudolf Kippenhahn (1926 – 2020)
Rudolf Kippenhahn verstarb am 15. November 2020 im Alter von 94 Jahren in Göttingen. Er war sowohl im deutschen wie im internationalen Rahmen einer der bedeutendsten Astrophysiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Insbesondere das Gebiet der Sternentwicklung hat er, sowohl was dessen Theorie als auch die numerische Modellierung anbetrifft, geprägt wie kaum sonst jemand. Eine ganze Generation junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat er ausgebildet und als Mentor begleitet.
Schon während seiner Schulzeit hatte sich Kippenhahn für Astronomie interessiert, so hat er an der Sonneberger Sternwarte bei Cuno Hoffmeister mitgearbeitet. Nach seinem Abitur im Jahre 1945 studierte Rudolf Kippenhahn Mathematik in Erlangen, sein Studium schloss er 1951 mit der Promotion in Mathematik ab. Im Anschluss nahm er eine Stelle als Assistent an der Bamberger Karl-Remeis-Sternwarte an. Im Jahre 1958 habilitierte sich Kippenhahn mit einer Arbeit über rotierende Sterne in Erlangen und ging nach Göttingen zum Max-Planck-Institut für Physik, das kurz darauf nach München umzog. 1963 wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter zum (Teil-)Institut für Astrophysik, dessen erster Direktor Ludwig Biermann war. Im Jahre 1965 folgte Kippenhahn einem Ruf an die Universitätssternwarte Göttingen, wo er zehn Jahre lang als Professor tätig war. 1975 wurde er als Nachfolger Biermanns Direktor des Max-Planck-Instituts für Astrophysik (MPA) in München, das vier Jahre später nach Garching umzog, und das er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1991 leitete.
Erste astronomische Publikationen von Kippenhahn erschienen bereits 1953 in der Zeitschrift für Astrophysik und in den Astronomischen Nachrichten, so etwa ein Artikel mit dem Titel: „Mitteilungen über 18 verdächtige und veränderliche Sterne”. Im Jahr 1958 veröffentlichte er – gemeinsam mit Stefan Temesváry und Ludwig Biermann – eine wegweisende Arbeit zur Sternentwicklung: „Sternmodelle I. Die Entwicklung der Sterne der Population II”. In den folgenden Jahren entwickelte er die Theorie von Sternaufbau und -entwicklung federführend weiter, unter Nutzung der gerade verfügbar werdenden Computer. Weitere Arbeiten erschienen in Kooperation mit Norman Baker. Die beiden auch persönlich befreundeten Astrophysiker erklärten in einer Serie von Publikationen die physikalischen Mechanismen der Pulsationen von Delta Cephei-Sternen.
In zum Teil mehr als vier Jahrzehnte währenden wissenschaftlichen Zusammenarbeiten – vor allem mit H.C. Thomas, Emmi Hofmeister (später Meyer-Hofmeister) und Alfred Weigert – schuf Rudolf Kippenhahn ein großartiges wissenschaftliches Werk zum Verständnis der Sternentwicklung. Selbst Jahrzehnte später sind viele Arbeiten Kippenhahns und seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch immer Stand der Kunst. Als Beispiel mag gelten, dass seine näherungsweisen Behandlungen dreidimensionaler Effekte, insbesondere von Rotation und dem thermohalinen Mischen, in eindimensionalen Modellen bis heute verwendet werden. Gekrönt wurde dieses wissenschaftliche Œuvre durch das 1994 erstmals erschienene Buch „Stellar Structure and Evolution”, das er gemeinsam mit seinem Freund Weigert verfasste, und das heute noch als Standardwerk gilt.
Neben seiner weltweit hochgeschätzten Tätigkeit als theoretischer Astrophysiker hat sich Rudolf Kippenhahn auch früh und mit großer Freude an die interessierte Öffentlichkeit gewandt. Lange bevor „Public Outreach” als wichtig und notwendig empfunden wurde, hatte Kippenhahn mit Vorträgen, Radiointerviews und Fernsehsendungen dazu beigetragen, astronomische und astrophysikalische Erkenntnisse einem breiten Publikum zu vermitteln. Im Jahre 1980 veröffentlichte er sein Buch „100 Milliarden Sonnen”, das vielen Menschen die faszinierende Wissenschaft von den Sternen nahebrachte und sie begeisterte – die Autoren dieses Nachrufs gehören dazu –, das aber auch, oft in anekdotischer Form, die Beiträge der Kippenhahnschen Arbeitsgruppe nachzeichnete. In seiner humorvollen Art gelang es Kippenhahn wunderbar, komplizierte (astro-)physikalische Phänomene den Menschen verständlich zu vermitteln. Es folgten weitere Bücher, von denen sich viele zu „Klassikern” entwickelten: „Licht vom Rande der Welt”, „Der Stern, von dem wir leben”, „Unheimliche Welten”. Später wandte er sich auch mehr physikalischen oder mathematisch-kryptographischen Themen zu, so etwa mit den Titeln „Atom: Forschung zwischen Faszination und Schrecken” oder „Streng geheim! Wie man Botschaften verschlüsselt und Zahlencodes knackt”. Viele Jahre lang schrieb er auch regelmäßig Kolumnen in astronomischen Zeitschriften.
Prof. Rudolf Kippenhahn hat sich immer auch für die astronomische Community engagiert und eingesetzt. So diente er von 1966 bis 1969 der Astronomischen Gesellschaft (AG) als Vorsitzender, im Anschluss drei Jahre als stellvertretender Vorsitzender. Von 1980 bis 1986 war Kippenhahn Vorsitzender des Rats westdeutscher Sternwarten (RWS), der nach der Wiedervereinigung in Rat deutscher Sternwarten umbenannt wurde (RDS). Und von 1985 bis 1991 war er als Vizepräsident in der Leitung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) tätig. Sein Engagement für den wissenschaftlichen Nachwuchs zeigt sich beispielhaft in dem von ihm 2008 gestifteten jährlichen Preis für die beste wissenschaftlichen Arbeit eines/einer Doktoranden/in am Max-Planck-Institut für Astrophysik.
Die herausragende wissenschaftliche und später publizistische Tätigkeit Kippenhahns wurde vielfach gewürdigt. So wurde er 1972 zum Mitglied der Nationalen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt und wurde von ihr schon im darauffolgenden Jahr mit deren Carus-Medaille ausgezeichnet. 1992 erhielt er den Bruno H. Bürgel-Preis der AG. Die Laudatio beschreibt wunderbar sein Engagement: „Prof. Kippenhahn hat es in hervorragender Weise verstanden, mit zahlreichen öffentlichen Vorträgen und seit mehr als zehn Jahren auch mit populären Büchern ein breites Publikum für die Astronomie zu begeistern. Dabei hat er insbesondere durch die mit Witz und Humor gewürzte Darstellung auch komplizierter Sachverhalte bei Zuhörern und Lesern ein weiterreichendes Interesse geweckt”. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) zeichnete Kippenhahn 1996 mit der „DPG Medaille für naturwissenschaftliche Publizistik” aus. Im Jahre 2005 erhielt er die Eddington-Medaille der Royal Astronomical Society, und 2007 wurde Rudolf Kippenhahn mit der Karl-Schwarzschild-Medaille geehrt, der höchsten Auszeichnung der Astronomie und Astrophysik in Deutschland. Sein Preisvortrag trug den bezeichnenden Titel „Als die Computer die Astronomie eroberten”. Der Vorstand der AG verlieh Prof. Rudolf Kippenhahn im Jahre 2016 die Würde der Ehrenmitgliedschaft, die er 90-jährig in Göttingen mit großer Freude und humorvoll wie eh und je annahm. Und auch am Himmel ist er – sinniger Weise – verewigt: Der Kleinplanet (2947) Kippenhahn wurde ihm zu Ehren offiziell so benannt.
Joachim Wambsganß, Achim Weiß, Wolfgang J. Duschl